Zurück - Entgegnung Ch. Buehlmann - Hauptseite

Sprachen sind ein Kinderspiel !

Von Eva Torp, SP-Kantonsrätin ZH, August 2006

Die erste Schulwoche ist schon fast vorbei. Das kleine Mädchen in der ersten Klasse ist vor 14 Tagen in die Schweiz gekommen und kann kaum ein Wort Deutsch. Auch der Knabe in der achten Klasse ist erst seit 2 Wochen in der Schweiz und versteht noch wenig bis nichts von all dem Gesprochenen. Das kleine Mädchen wird aber erfahrungsgemäss sehr schnell dem Unterricht folgen können, während es für den Knaben schwieriger werden wird. Weshalb ?
Das wichtigste Argument ist die Tatsache, dass die Wahrnehmungsfähigkeit des Gehirns im frühen Kindesalter besonders gross ist, speziell für das Spracherlernen. Zwischen fünf und sieben Jahren lernen wir Sprachen am besten. Leider geht dies schnell wieder vorbei; schon ab dem zehnten bis zwölften Altersjahr nimmt die Fähigkeit zum unbewussten Erwerb der Sprachen ab. Jedes Kleinkind hat ein Potenzial für Mehrsprachigkeit. Unser Gehirn kann problemlos Informationen in verschiedenen Sprachen aufnehmen.

Seit 30 Jahren unterrichte ich Deutsch als Zweitsprache, und immer wieder habe ich eindrücklich erleben können, dass die Kinder schneller und besser Deutsch lernten, je jünger sie waren. Gleichzeitig war aber der Bildungsstand der Muttersprache wichtig, und ob das Kind bereits schon eine Fremdsprache gelernt hatte. Wie viel einfacher war es doch in der Kindheit, eine neue Sprache zu erlernen, als im Erwachsenenalter.

Dass die zweite Fremdsprache einfacher zu lernen ist als die erste, ist wissenschaftlich bewiesen. Alle zweisprachig Aufgewachsenen wissen das aus eigener Erfahrung. Diese Kinder haben laut Cordula Nitsch, Professorin für Neuroanatomie an der Universität Basel, zudem den Vorteil, sich auch weitere Fremdsprachen leichter aneignen zu können als einsprachig Aufgewachsene. Der Blick ins Gehirn offenbart: „Die Spätlerner aktivieren für jede Sprache ein Nervennetz, während die Bilingualen dagegen beim Gebrauch aller drei Sprachen nur auf ein einziges Netzwerk zurückgreifen.“
Trotz dieser klaren Forschungsergebnisse ist die Angst vor Mehrsprachigkeit in der Primarschule gross. So gross, dass wir voraussichtlich anfangs 2007 über die Volksinitiative „Nur eine Fremdsprache an der Primarschule“ abstimmen werden. Die Initiantinnen und Initianten wollen, dass das Volksschulgesetz im Kanton Zürich durch eine Bestimmung zu ergänzen ist, wonach an der Primarschule nur eine Fremdsprache obligatorisch unterrichtet werden darf. Mit dieser Initiative würden wir uns bezüglich entwicklungspsychologischer Erkenntnisse und der Entwicklung in anderen Ländern genau in die umgekehrte Richtung bewegen. Der Europarat, in dem die Schweiz bekanntlich Mitglied ist, sieht die Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit zur Erhaltung der kulturellen Vielfalt in Europa als eines ihrer Grundanliegen. Hauptargumente: Sprache ist gleich Kultur, Sprachkenntnisse führen zu Toleranz.

Die EU beschloss am 24.Juli 2003 einen Aktionsplan 2004-2006 mit der Zielsetzung, dass alle EU-Bürgerinnen und EU-Bürger zusätzlich zu ihrer Muttersprache mindestens zwei weitere Sprachen sprechen können. Dabei soll mit dem Spracherlernen im frühen Kindesalter begonnen werden.
Die Schweizerische Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren unterstützt diesen Aktionsplan und hat sich auf folgende gemeinsamen Ziele aller Kantone einigen können:

In meinem Deutschunterricht erlebe ich immer wieder, wie Kinder die eine gebildete Muttersprache haben, sei es Albanisch, Englisch oder irgendeine andere Sprache, deutlich weniger Probleme haben, Deutsch zu lernen. Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg beim Neuerlernen einer Sprache ist die Beherrschung der Muttersprache. Ist ein Begriff einmal in einer Sprache erfasst worden, muss dann in den anderen Sprachen nur noch die entsprechende Lautung erworben werden. Die Kinder können immer wieder Brücken zur Stammsprache, der Muttersprache, bauen. Sie kennen die grammatikalischen Besonderheiten der eigenen Sprache. Es ist also kein Neuerlernen mehr sondern ein Übertragen. Neue Studien bestätigen, dass so die allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, die Fähigkeit zum Textverständnis und Lese- und Schreibkenntnisse gestärkt werden. Für Kinder, die Frühenglisch gehabt haben, hat sich übrigens auch im Schulprojekt 21, bei dem Affoltern eine Pilotgemeinde war, erwiesen, dass das Französischlernen einfacher geht. Zusätzlich hat sich gezeigt, dass sie im Deutsch keineswegs schlechter abgeschlossen haben als jene ohne Englisch. Sie schlossen sogar in einem Bereich, dem Verfassen von Texten, besser ab. Zusammenfassend befürworte ich das frühzeitige Erlernen von mehreren Fremdsprachen unter der Voraussetzung einer gut gebildeten Muttersprache.