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(oder eine Landschaftsmeditation – rezeptfrei zur Nachahmung empfohlen)
Natürlich fasziniert mich der Blick Richtung Zugersee und Rigi oberhalb von Blickensdorf oder bei Ebertswil
immer wieder neu und ich ertappe mich dabei, dass ich langsamer fahre und staune. Auch die Aussicht vom Paradies
ob Mettmenstetten hat seinen „panoramahaltigen“ Reiz einer Fünfsternlandschaft. Oder die kurzen Durchblicke
von der Albispassstrasse auf den Türlersee – das Auge Gottes. Und doch liegt mein kraftvollster Rückzugsort
in einer viel bescheideneren Landschaft.
Es ist das Hochmoor des Feldenmaas, genauer das Bänklein zweihundert Meter
vom Parkplatz zum Bonstetter Schützenhaus entfernt am Waldrand mit Blick südwärts.
Anfangs vernehme ich – mit geschlossenen Augen - nur von weit her ein stetiges Rinnsal eines kleinen Bächleins.
Ich atme tief durch, atme die mit Wärme erfüllte Sommerluft mit all ihren Düften ein. Je länger
mein Atem ruhig bleibt, je mehr Düfte und Geräusche kann ich wahrnehmen.
Jetzt öffne ich die Augen und schaue hinaus in die Landschaft, die mir nun seit 32 Jahren bekannt ist. Und
doch sehe ich sie – auch heute wieder – ganz neu, die bescheidene Schönheit dieses Kleinods oberhalb von Bonstetten
und Hedingen.
Ich atme noch bewusster und staune, wie sich das Bild der Landschaft in mir verändert.
Ein Bussard zieht seine Kreise hoch über mir am offenen Himmel, das Spiel des Aufwindes geniessend und immer
wieder auskostend, bis er sich plötzlich auf eine erspäte Beute stürzt.
Einen Moment lang kommt etwas Neid auf in mir, Neid über soviel Bewegungsfreude und Bewegungsfreiheit.
Ich kehre wieder zu meinem Atem zurück und freue mich am vielblütigen Honigduft, der aus der Wiese hochsteigt.
Ich beobachte auch die Hummel, welche wählerisch von einer Blüte zur andern surrt, hier länger dort
kürzer verweilend.
Wenn sich für kurze Zeit eine Wolke vor die Sonne schiebt, geniesse ich einen Moment etwas Kühle. Wenn
sie voll in das noch nicht abgeerntete Weizenfeld niederbrennt, entsteht ein Flirren wie zwischen elektrischen
Drähten.
Die Grellheit der Farben in den umliegenden Wiesenparzellen und am entfernten Waldrand hat schon nachgelassen und
wechselt über zu warmen Pastelltönen. Die Hochsommerzeit scheint schon etwas gebannt.
In der Ferne höre ich zwei Kinder, die sich beim Spielen mit Modellflugzeugen Befehle zurufen. Ich verstehe
zwar nicht genau, was sie plaudern und rufen, doch der Tonfall ist angenehm und fröhlich.
So wie ich jetzt die Landschaft wahrnehme, wird mir bewusst, dass alles Vergangene und alles Zukünftige an
Bedeutung verloren hat. Dieser jetzige Moment allein ist wichtig für mich. Ich bin offen, weich, entspannt,
gelassen geworden sich. Meine Kanäle von draussen nach drinnen bleiben noch für wertvolle Augen- und
„Ohren“blicke offen, Vertrautes und auch ganz Neues in mich aufzunehmen. Diese Erkenntnis macht mich leicht und
glücklich.
So wie ich einen Text auf mich wirken lassen kann, einen bekannten oder noch unbekannten, und ich feststelle, wie
tief er mich berührt, so berühren mich auch diese Landschaftseindrücke und verbinden sich mit meiner
inneren Weltwirklichkeit als Bereicherung.
Jetzt erst nehme ich mein Tagebuch aus meiner Tasche und schaue mit grosser Bewusstheit rückwärts und
vorwärts. Mein Stift fliegt nur so übers Papier und es werden mir Zusammenhänge klar, die ich ohne
diese Oase der Stille wohl nie wahrgenommen hätte. Ich entwerfe meinen Tages- meinen Wochenplan und formuliere
einige Nahziele im Umgang mit meinen Mitmenschen und im Umgang mit meiner Zeit. Noch ein letztes Mal für heute
atme ich tief durch und stelle mir die „Feldenmaaslandschaft“ mit geschlossenen Augen vor. Jetzt öffne ich
sie, erhebe mich von meinem Lieblingsbänklein und wende mich gestärkt dem Hier und Jetzt zu. Ruhigen
Schrittes marschiere ich durch Wald weiter, wieder zum Parkplatz. Und jetzt weiss ich: Ich habe nicht eine halbe
Stunde des heutigen Tages verloren sondern ich habe mir eine gute halbe Stunde geschenkt. Carpe diem!
Ernst Schlatter