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Viel Leidenschaft für ein kleines Stück Stoff

Alfred Bruder und Martin Widmer: Krawattenende

Der in Obfelden geborene Alfred Bruder und Martin Widmer, der Autor des im Limmat Verlag herausgekommenen Buches Krawattenende, las Ende Januar 2005 in Obfelden. - Die Geschichte des Créateurs Alfred Bruder und seiner Cravatex AG, bescherten dem zahlreich in der Bibliothek Obfelden erschienenen Publikum einen ungewöhnlich spannenden Abend mit Lokalkolorit und einem Duft aus der grossen, weiten Welt.

Von Ernst Schlatter

«Ein Juwel von einem Sachbuch - ein Abenteuerroman aus der Textilbranche», so schwärmt zu Recht Daniel Di Falco in seiner Rezension im «Bund». Doch am vergangenen Freitag wurde nicht nur die Geschichte hinter dem Buch durch die von Martin Widmer treffend ausgewählten Textstellen lebendig; auch die dahinter stehende Person zeigte sich in allen seinen vielen Facetten.
Durch die Anwesenheit von Alfred Bruder und seine träfen, zwischen die lebendige Lesung eingestreuten Erzählungen erlebte man ein Stück schweizerischer Textilgeschichte aus erster Hand.
Widmer hatte sich die Geschichte von Bruder erzählen lassen, in vielen Gesprächen und 33 handgeschriebenen Faxbriefen aus dem Tessin und aus Kanada, wo Bruder abwechslungsweise lebt.

Vom Armeleutekind zum Mann von Welt

Christiane Zaugg, Leiterin der Bibliothek Obfelden (links) begrüsst Alfred Bruder und den Buchautor und Historiker Martin Widmer bei der Lesung in Obfelden.

Bild: Ernst Schlatter

Am vergangenen Freitagabend schilderte zu Beginn Alfred Bruder seine armseligen Jugendjahre «im Unterholz» von Obfelden ohne Selbstmitleid. Im Gegenteil: Seine Augen funkeln wie er von seinen Velofahrten nach Zürich, seinem ersten selbstverdienten Geld (durch «Vermieten» der an der Langstrasse erstandenen Schundheftchen an seine Schulkameraden), seine Erfolge als Kaninchenzüchter und seinem Entschluss, Textilzeichner zu werden, erzählt.
Und dann vor allem - mit berechtigtem Stolz -, wie er als 31-Jähriger mit nur 2000 Franken seine eigene Firma gründet: Die «Cravatex AG, Entwurf und Herstellung von Krawattenstoffen».
1954 mischt er die synthetischen Garne Nylon und Crylor und lässt mit seinen Kreationen die herkömmlichen Polyesterkrawatten billig aussehen. Und «Noblesse» ist es auch, was seine Haltung als Geschäftsmann auszeichnet: Er steigt immer in den besten Hotels ab, erlebt wie der Gourmet-Papst Bocuse ihm persönlich den Käsewagen präsentiert, wie der polnische Präsident ihn zur Wildschweinjagd ins Privatrevier einlädt, wie er 1965 an der Londoner Carnaby Street den New Look sofort integriert und wie er von da an in den Fachkreisen als «der mit den wildesten Mustern» gilt. Mit seinen frechen, kultivierten Schockkreationen in den Präsentierkoffern bereist er die wichtigsten Städte Europas. Und hat Erfolg, Riesenerfolg sogar.

Der Anfang vom Ende

Doch Mitte der 70-er-Jahre stellt er fest, dass sogar am Fernsehen die Präsentatoren (zum Beispiel Mäni Weber) und die Tageschausprecher ohne Krawatte im Rollkragenpullover auftreten. Er merkt, dass die Kunden zuerst nach den Preisen fragen und dann erst seine Kollektionen anschauen und nicht mehr umgekehrt wie früher. Er hat nach einer langen Reise über Stockholm, Turku, Kopenhagen, Amsterdam, Brüssel, Lyon, Paris, Madrid, Porto nur eine einzige Bestellung in der Tasche. Und so zieht er 1975 bei einem einsamen Spaziergang am Atlantik Bilanz und schickt ein Telegramm nach Zürich:«Sehe nur noch Liquidation».

Reportage aus dem prallen Leben

Dem Historiker Martin Widmer ist mit dem Buch «Krawattenende» viel mehr als eine Biografie gelungen. Er ist kein Historiker, der gerne in Archiven stöbert. Durch Informationen aus vielen persönlichen Befragungen hat er diese faszinierende historische Reportage geschrieben: «Den Roman eines Abenteuers in der Textilbranche", um nochmals den «Bund» zu zitieren.
Beim anschliessenden von der Bibliothek offerierten Apéro begnete der 81-jährige Alfred Bruder noch ehemaligen Klassenkameraden aus Obfelden und gab bereitwillig Auskunft über sein jetziges Leben.
Martin Widmers Buch «Krawattenende. Die Geschichte des Créateurs Alfred Bruder und seiner Cravatex AG, 1954 bis 1975» ist letztes Jahr im Limmat Verlag, Zürich erschienen. In der Buchhandlung Scheidegger ist es am Lager.