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Das Wängibad bei Aeugst

Willy Hug: Alte Geschichten aus dem Säuliamt - Serie 28

Während über 500 Jahren reisten Erholung und Heilung suchende Kurgäste ins Wängibad. Erstmals 1412 erwähnt, konnte sich das Bad bis ins 20. Jahrhundert hinein ehaupten. Ebenso bekannt und beliebt war die Wirtschaft als Ausflugsort. Dort, wo einst während Jahrhunderten ein emsiges Treiben herrschte, ist es heute wieder ruhig geworden.

Aeugst. Wängibad. Ehem. Wohn- und Wirtshaus. Abgebrochen 1960. Repro nach Aufnahme E.Benninger, Aeugst 1959.

Wunderschön gelegen, an der alten Kantonsstrasse von Affoltern nach Vollenweid, Richtung Hausen, liegt der Weiler Wängi. Es ist beschaulich und ruhig hier. Einige Katzen springen herum. Kaum etwas deutet auf die Vergangenheit dieses Ortes: ein während Jahrhunderten belebter, gesellschaftlicher Treffpunkt für Erholung und Heilung suchende Badegäste.

Die Blütezeit des Kurbetriebes
Diese erlebte das Wängibad zwischen 1850 und 1914. Von Frühling bis Herbst war das Kurhaus meist ausgebucht. Die im Jahre 1839 unten im Jonental gebaute Strasse ermöglichte neben dem bisherigen Zugang über die Allmend, einen zusätzlichen Weg von Affoltern oder von Rifferswil her. Die Eröffnung der Eisenbahnlinie von Zürich nach Luzern bewirkte ab 1864 ebenfalls eine bessere Erreichbarkeit. Am Bahnhof Affoltern holten Kutschen die Gäste ab. Die Fahrt dauerte eine gute halbe Stunde. Später stand sogar ein dem Hotel gehörendes Auto zur Verfügung. Der Besitzer August Spinner pries das Bad 1890 wie folgt an: "Kur- und Badeanstalt Wängi bei Aeugst. Erprobt heilkräftige, natürliche und künstliche Mineral-, Dampf-, kalte und warme Douche- und Solbäder, Kuh- und Ziegenmilch. Gute Heilerfolge bei Rheumatismus, Gicht und Blutarmut. Schön möblierte Zimmer. Sehr angenehme Spaziergänge in nahe Wälder und luftige Höhen mit herrlicher Fernsicht. Billigste Pensionspreise".

Aeugst. Wenig-Bad. Nach Heinrich Keller 1778-1862. Original in graph. Sammlung Zentralbibliothek Zürich.

Privatzimmer in Aeugst
Da es im Kurhaus für die Gäste oft zu wenig Platz hatte, baute 1891 Spinner daneben eine Dependence. Aber bei 60 bis 80 Kurgästen mussten noch einige in Privatzimmern in Aeugst einquartiert werden. Für die Bauern war dies eine willkommene Nebeneinnahme. Das Wängibad bot vielen Einheimischen eine Beschäftigung, ob als Bademeister, in der Küche oder als Zimmermädchen. Viele angesehene und prominente Gäste verbrachten mit ihrer Familie einige Wochen in Wängibad. Unzählige Familien- und Hochzeitsfeste, sowie Vereinsanlässe fanden in der Wirtschaft und im Saal statt. Die Tanzmusik und die fröhlichen Lieder hallten lange in die Nacht. Die Küche soll ausgezeichnet gewesen sein. Eine Spezialität waren Krebse und Fische aus dem Türlersee, der Reuss oder dem Jonenbach.

"Wängibad-Tafelwasser"
Um 1900 wurde vor dem heimeligen Saal eine Veranda gebaut. Von hier aus bot sich den Gästen eine herrliche Sicht ins Grüne. An den in jener Zeit üblich gewordenen 1. August-Feiern war manche vaterländische Rede zu hören. Aber der erste Weltkrieg und eine lebensgefährliche Grippezeit setzten dem gut florienden Kurbetrieb ein Ende. In den Gebäuden wurde ein Militärspital eingerichtet. Nach 1915 erfolgte mit den ersten Autos ein reger Passantenverkehr, doch mit der grossen Zeit des Wängibades war es vorbei. Nachdem die Familie Spinner den Landwirtschaftsbetrieb bereits 1910 verkauft hatte, entschloss sie sich, 1931 auch das Bad zu verkaufen. Ein Zweig der Familie führte während 13 Generationen das Wängibad von 1715 bis 1931. Unter dem neuen Besitzer lief es jedoch nicht zufriedenstellend. Eine Trendwende wurde 1936 mit dem Verkauf an Herrn Schifferle aus Zürich eingeleitet. Dieser zeigte grosse Initiative. Umgehend renovierte er die Gebäulichkeiten und begann mit dem Vertrieb von "Wängibad-Tafelwasser", welches sich sehr gut verkaufte. Das Bad blühte ein letztes Mal auf. In jenen Jahren war der Wängibad-Saal auch ein Treffpunkt von Studentenverbindungen und Austragungsort verbotener Degenduelle. Manche Narbe im Gesicht erinnerte die Träger später daran.


 

Wirtshausverbot...
Während des zweiten Weltkrieges quartierte die OVA (Moschti Affoltern) internierte Italiener und Italienerinnen im Wängibad ein. In der OVA arbeiteten sie als Gemüse-Rüster für Armee-Konserven. Nach dem Krieg wurden zeitweise WK-Soldaten einquartiert und 1946 erfolgte erneut ein Verkauf des Wängibades. Der neue Besitzer richtete ein Altersheim mit bis zu 50 Personen ein. Der Konkurs bedeutete für das gut besetzte Heim das Ende. Einige Jahre später verhängten die Behörden über die Wirtschaft ein Verbot, um dem erotischen Treiben ein Ende zu setzen. Das jahrhundertealte Tavernenrecht wurde gelöscht und die Wirtschaft blieb geschlossen. 1957 ersteigerte Baumeister Emil Frey die Gebäulichkeiten. 1959 wurde Baumeister Scheifele aus Zürich neuer Besitzer. Eine Auflage des Kantons bedingte den Abbruch des jahrhundertealten Hauptgebäudes. Der Kanton wollte die Strasse verbreitern. Saal und Dependence wurden renoviert. Beim Abbruch fand man einige über 350-jährige Münzen. Das Anwesen wurde privat.

"Wütende Hundebisse"
Bekannt ist bereits aus dem Jahre 1412 eine Erwähnung des Wängibades als "Heilbrunnen". 1530 soll der Vogt im Bade gesessen haben. Der Naturforscher Konrad Gessner erwähnt um 1550 das Wasser zu Aeugst und rühmt die Heilung bei Geschwüren. Der Zürcher Arzt Jakob Ziegler untersuchte erstmals 1663 das Wasser der Quelle. Er beschrieb das "uralte, nutz- und kostbarliche Wängibad". Er konnte sich die Wirkung dieser Quelle nur so erklären, dass nebst Alaun, Schwefel und Gips auch Silber und Gold enthalten sei. Zieglers Möglichkeiten der chemischen Abklärungen waren natürlich der damaligen Zeit entsprechend begrenzt und so fanden diese Edelmetalle bei späteren Untersuchungen keine Erwähnung mehr. Vortreffliche Dienste leiste die Quelle gegen Lahmheit der Glieder und Geschwülste, sowie "offene Schänkel" und "wütende Hundebisse". Erwähnenswert fand Ziegler auch zu bemerken: "Einem Ehrenmann ist seine fast Verblichene, sprach mit Verwunderung, wieder gebracht worden". Das Liebesleben funktionierte wieder.


Ausschnitt aud der Kantonskarte von Jos. Murer von 1566

Grosse Konkurrenz
Zieglers Hinweis auf das Wängibad brachte dem Kurhotel einen beachtlichen Aufschwung. Bade- und Trinkkuren waren mittlerweile grosse Mode geworden und damit die Konkurrenz grösser. Am besten florierten jene Kurorte, welche die meisten "Lebensgenüsse" anboten. Das bescheidene Wängibad konnte da nicht mithalten. Deshalb soll das Bad nur aus der näheren Umgebung und von wirklich Kranken besucht worden sein. Ein Chronist namens Wagner erwähnt 1680, dass das Bad in letzter Zeit wieder seltener benutzt worden sei. Das sei den mangelhaften Einrichtungen und der Unwegsamkeit des Wängibades zuzuschreiben. Davon schreibt 1764 Hans Jakob Leu nichts, er erwähnt lediglich das "mineralische Wasser, welches zu einem Bad gewärmet". Aber bereits 13 Jahre später, 1777 schreibt auch Johann Jakob Scheuchzer: "dieses alte, vor Zeiten berühmte, jetzt im Abgang liegende Bad". 1780 sagt Anthonius Werdmüller, dass "im Wängibad mit Würckungen gebadet wird", aber nur noch von den benachbarten Bauern.

Keine Belästigung von Mitbadenden
Mit neuem Elan bringt ein neuer Besitzer 1845 wieder Schwung in den Kurbetrieb. Er errichtete einen Anbau mit neuen Bädern und Speisesaal. In Zürich lässt er eine kleine Werbeschrift für das Wängibad drucken. Natürlich preist er sein Kurhaus nur in den besten Tönen an. Das Bad könne 40 Gäste aufnehmen und habe acht neuerbaute Badezimmer mit 16 bequemen Badewannen. "Der Badende ist ganz abgeschlossen und wird weder durch die unangenehme Dunsthitze, noch durch die Redseligkeit seiner Mitbadenden belästigt. Interessant auch der Hinweis: "Die Quelle entspringt ganz nah an der Badanstalt und die Qualität und Quantität ist bei Trockenheit und Nässe unverändert. Sie liefert reinstes, geruchloses und etwas prickelndes Wasser. Dieses wird direkt vom Hauptsammler vor der Quelle direkt in die Badkasten oder zum Teil in die Siedkessel geleitet. Das erhitzte Wasser wird mit dem kalten bis zur gewünschten Badetemperatur gemischt". Weiter erwähnt er: "Übrigens lässt sich der Wirkungsgrad vieler berühmten Heilquellen aus der chemischen Zusammensetzung allein nicht erklären, sondern die langjährige Erfahrung mit der Quelle ist ein sicherer Ratgeber".



Kuh- und Ziegenmolken
Diese Werbeschrift war offenbar überzeugend, denn ein Nachdruck erfolgte 1857 und 1883 fast ohne Änderung. Lediglich 1857 gab es einen Zusatz: Gute Milch, bestens zubereitete Kuh- und Ziegen-Molken sind täglich frisch zu haben. Milch- und Molkenkuren waren damals gang und gäbe. Conrad Meyer-Ahrens schreibt 1860 von einer Erweiterung. "Im Etablissement sind acht hölzerne, mit Oelfarbe gestrichene Wannen in freundlichen Badezimmern. Zudem ein "Douchenapparat" und ein Dampfbad". 1873 wird das "gut eingerichtete Wängibad" erwähnt, welches von Zürich und der benachbarten Gegend ziemlich gut besucht werde. Der Weiler bestehe aus 11 Wohnhäusern mit 53 Einwohnern. Diese würden Landwirtschaft und Seidenweberei treiben. Das Bad stand Freitags und Samstags auch den Aeugstern offen. Der Dorfweibel rief jeweils im Dorf aus: "Frytig und Samschtig wird's Bad warm i dr Wängi". Im Bäderatlas von Th. Gsell-Fels 1880 herausgegeben, beschreibt dieser die schattigen Gartenanlagen mit Gartenwirtschaft, eine gedeckte Kegelbahn, den Fischteich und Springbrunnen. Hausarzt sei Dr. Hegetschweiler von Rifferswil. Der gesellige Ton sei ländlich-gemütlich.

"Ehrenmänner schief gewickelt"
Um 1900 soll den Badegästen ein ausgezeichneter hauseigener Klevner angeboten worden sein. Der excellente Tropfen habe "manchen Ehrenmann schief gewickelt..."
Bis 1930 gab es eigenen Wein. Bereits seit 1671 ist bekannt, dass der Wängibad-Besitzer und die Bauern von Wängi an den geschützten Hängen Richtung Vollenweid Reben anpflanzten. Nebst dem Badebetrieb, der Wirtschaft und dem Landwirtschaftsbetrieb führte der Wängibad-Besitzer ab 1690 auch eine Gerberei. Dass diese unmittelbar beim Bad stehend, den Geruchssinn der Gäste arg strapazierte, liegt auf der Hand. Ein neuer Besitzer legte 1880 an dessen Stelle einen Park mit Springbrunnen an.

Die Quelle sprudelt noch immer
Nicht mehr Badegäste, aber Naturisten besuchen seit 1959 in der Nähe die schönen Anlagen des Sonnenbades Schönhalde SHS.
Im Weiler Wängi selbst ist es ruhig geworden. Geblieben sind zwei Flurnamen: Baderrüti und Baderholz. Die Quelle, während Jahrhunderten ein wirtschaftlicher Faktor für den kleinen Weiler, sprudelt immer noch munter weiter. Das Wasser ist im Sommer wie im Winter 11 Grad warm und nach wie vor von vorzüglicher Qualität.