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Premiere der Aemtler Bühne mit Thomas Strickers "Uränkel und
Revoluzzer"
Leserbrief vom 6. Juni
- und Entgegnung des Autors
Am vergangenen 8. Mai erlebte das staunende Publikum eine doppelte Premiere: Die Uraufführung des vom Rifferswiler
Autor Thomas Stricker geschriebenen Stücks - im Untertitel "Ösi Mèrtürer - Eine musikalische
Komödie" - und die Umfunktionierung der OVA-Hallen zu einem ganz besonderen Theaterraum.
Letzte Spieltage:
9., 11. und 12. Juni
Von Ernst Schlatter
Zwei Jubiläen galt es zu feiern: 20 Jahre Aemtler Bühne und 200 Jahre Bockenkrieg. Über die historischen
Hintergründe des Bockenkrieges hat der "Anzeiger" in den letzten Wochen ausführlich berichtet.
Nur dies zur Erinnerung in Kurzform: Das Denkmal vor dem Postgebäude in Affoltern erinnert an die vier Zürcher
- zwei aus dem Knonaueramt (Häberling und Schneebeli) - die im Jahr 1804 als Rädelsführer des Aufstandes
der Landschaft gegen die Vorherrschaft der Stadt in Zürich enthauptet wurden und später vom Rifferswiler
Landwirt und Nationalrat Johann Hauser in einem "Vaterländischen Trauerspiel: Die Märtyrer"
heroisierend verewigt wurden.
Thomas Stricker hat nun dieses Stück als "Vorwand" genommen, um in seinem Stück mit einer reichlich
dilettantischen Dorftheatergruppe das hausersche Stück proben zu lassen. Der erste Akt zeigt denn auch, wie
die Mitglieder mit wenig Begeisterung die pathetische Sprache Hausers, die sich im Stil an Friedrich Schillers
"Tell" orientiert hatte, umzusetzen versuchen, aber eigentlich gar nicht richtig bei der Sache sind.
Theater im Theater
Einzig der Regisseur Hugo Steiger (von Reto Huter mit vielen Facetten in Mimik, Körpersprache und Wortgewaltigkeit)
ist mit Verve dabei, aber er hat mit allen nur möglichen Widerlichkeiten zu kämpfen:
Rolf Künzli (Klaus Halter gibt diesen Normalverbraucher köstlich naiv) - im bürgerlichen Leben Besitzer
eines Reisebüros - spielt seine Rolle als Freiamtsweibel aus Knonau (Heinrich Häberling) lustlos und
mit Null Verständnis für den pathetischen Text. Er bringt damit den engagierten Regisseur beinahe zur
Verzweiflung.
Mit allen Kniffen und Sprüchen eines Regisseurs ("Körperspannig phalte"; "jo, da chunnt
scho guet"; "ich glaub mir müend e chli umstelle") probt Steiger mit der Truppe immer wieder
dieselbe Szene, wird von den linkischen Bühnenbauern (Marcel Landolt und Thomas Stricker) immer wieder gestört.
Frustrierte Schauspielerinnen laufen ihm heulend aus der Probe weg; Steiger muss sie tröstend wieder zurückholen;
die theaterbegeisterte Abwartin der OVA-Halle Hanna Tschanz (Margit Bracher) bringt sich auch immer wieder mit
- wie sie meint - grossartigen Regieeinfällen ins Spiel; der nie zur Probe erscheinende Gody ("Warten
auf Godot" lässt grüssen …) nervt zusätzlich.
Kurz: Es geht wild her und zu: auf der Bühne, neben der Bühne, hinter der Bühne. Niemand glaubt,
dass das Stück, das zum 200-jährigen Jubiläum des Bockenkrieges aufgeführt werden sollte, je
klappen würde. Zu allem Überfluss tauchen da noch die Gemeindepräsidentin Belinda Kuratli (von Mengia
Caflisch überzeugend uneinfühlend interpretiert) und das oberflächlich nur auf Showeffekte bedachte
Mitglied des Patronatskomitees des Jubiläumsfestes, Otto Heuberger (Rainer Winkler) auf. Sie wollen Einfluss
auf den Fortgang des Stücks nehmen, wollen gar den Regisseur bitten, dem Nationalratskandidaten, Historiker
und Unternehmer Emil Dietrich (die Clichée-Figur von Tobias Sonderegger überzeugend dargestellt) eine
Plattform für eine vaterländische Rede voll gespickt mit Schlagworten halten zu lassen: Hugo Steiger
nimmt alles, sogar das Manuskript des Profilneurotikers an und heckt sich aber einen Plan aus, wie er dies alles
an der wirklichen Aufführung auf seine Art umsetzen würde. Mit viel Klamauk, mit grotesken Wortspielereien
zieht sich der erste Akt hin und das Publikum kommt aus der Pause, gespannt harrend der Dinge, die da kommen werden.
Hintergründige Komik
Zuerst noch einige vereinzelte Lacher. Doch dann kippt - ähnlich wie bei Dürrenmatts "Besuch der
alten Dame" - die Komik um und macht einer authentischen Ernsthaftigkeit Platz, die packt: Die letzten Worte
der zum Tode Verurteilten (von Danilo Risi, Hannu Hankela und Klaus Halter eindrücklich echt gespielt) zum
Beispiel gewinnen sowohl in der Sprache Hausers, wie in den mundartlichen Versionen in der Sprache der Gegenwart
an Tiefe und Bedeutung. Die Entlarvung des Möchtegern-Politikers Emil Dietrich mit seinem Versuch als neuer
Tell gelingt vorzüglich.
Interviews der Videojournalistin mit den Todeskandidaten (Miranda Goedhart gibt die oberflächliche sensationslüsterne
Frontfrau mit eingeschränktem Wortschatz glänzend naiv: alles, auch die Enthauptungen findet sie einfach
"super". Auf einer Grossleinwand live eingespielt, zeigt sich nun ernsthafte Mimik der Schauspieler sehr
exakt.
Optimale Nutzung der OVA-Halle als Spielraum
Ebenso prägend für die starke Wirkung des Stücks waren die Farbgebung der hohen Mauern der OVA-Halle
(rot/blau), die professionelle Lichtgestaltung (Petra Waldinsperger), der Einbezug der Elemente der Halle ins Bühnenbild
(Marc Bänziger) und die Kostüme (Isabel Schumacher).
Dies alles und noch viele der nicht erwähnten Spielerinnen und Spieler und Mitarbeiter auf und hinter der
Bühne trugen dazu bei, dass der Schluss des Stücks, der hier nicht verraten sein soll, beim Premierenpublikum
einen tiefen Eindruck hinterliess.
Kein schenkelklopfender Sauglattismus
Kein Sauglattismus also, sondern sehr differenziertes Laientheater auf höchstem Niveau, gespielt von einer
Truppe, die vom professionellen Regisseur Sebastian Dietschi (er ist neben der Regiearbeit selber auch Autor verschiedener
Stücke) zu einer verschworenen Einheit zusammen geschweisst worden ist, der auch in der Feinabstimmung der
Dialoge mit dem während der Proben ständig anwesend Autor, Thomas Stricker, zur sprachlichen Dichte beitrug.
Vielleicht noch nicht ganz überzeugend - von den räumlichen Gegebenheiten her aber erklärbar - die
Verständlichkeit der gesungenen Teile im zweiten Akt. Die von Dani Wäch komponierte Musik (Erinnerungen
an Kurt Weill wurden wach) erreichte gerade auch mit schrägen Tönen eine Klangkulisse, welche die Handlung
wirkungsvoll unterstützte. Die tonale Verfremdung des "Aemtlerliedes" in der Schlussszene machte
nochmals deutlich, dass die Zuschauer an der Uraufführung eines hoch-aktuellen Stücks dabei waren, das
in den weiteren Aufführungen noch ein grosses Publikum verdient.
"Uränkel und Revoluzzer" wird noch an folgenden Tagen gespielt:
Mittwoch, 9. Juni, Freitag, 11. Juni, Samstag, 12. Juni (Derniere). Abendvorstellungen jeweils um 20 Uhr. OVA-Halle
hinter dem Bahnhof Affoltern. Vorverkauf: Buchhandlung Scheidegger zu den Ladenöffnungszeiten (keine telefonischen
Reservationen). Reservationen per E-Mail: tickets@aemtlerbühne.ch. Reservationen Montag bis Samstag, 9 bis
12 Uhr: 079 227 08 93. (eschla)
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