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"Märchen können Halt geben"

Zum Buch der Hedinger Psychotherapeutin Hanna Hadorn

Die seit zweieinhalb Jahren in Hedingen wohnhafte Psychotherapeutin und Jung'sche Analytikerin Hanna Hadorn mit eigener Praxis in Zürich hat kürzlich im Walter (Patmos) Verlag (Düsseldorf) ihr erstes Buch unter dem Titel "Früh verletzte Seelen" veröffentlicht. Der Anzeiger hat mit ihr ein Gespräch geführt.

Von Ernst Schlatter


Menschen, die in ihrer frühen Kindheit traumatisiert werden, leiden oft lebenslang an ihren Seelenverletzungen. Ihr Lebensfaden scheint gerissen, der Schlüssel zur eigenen Seele verloren. Hanna Hadorn - so schreibt sie im Klappentext ihres Buches - hat oft erfahren, dass Märchen Verdrängtes und Unsagbares widerspiegeln und Möglichkeiten aufzeigen, Furchtbares zu bewältigen

Anzeiger: Frau Hadorn, Sie sind Jung'sche Analytikerin mit eigener Praxis in Zürich. Im Vorwort Ihres Buches erwähnen Sie, dass Sie in Ihrer langjährigen Praxis vielen Menschen begegnet sind, deren Leiden zunächst diffus anmutet, da sie auf frühkindliche traumatische Erlebnisse zurückgehen.
Was hat Sie veranlasst - wie Sie in Ihrem Buch ausführen - Märchen in der Therapie einzusetzen?
Hanna Hadorn: Symbolische Bilder, so hat C.G Jung herausgefunden, sind für den Menschen hilfreich. In unseren Träumen tauchen hin und wieder Motive auf, die wir aus Märchen und Mythen kennen und auf ein uraltes kollektives Wissen zurückgehen. In den Märchen finden Menschen mit frühkindlichen Verletzungen öfters Bilder für etwas, was sie sonst nicht ausdrücken können. In meiner eigenen Analyse - schon vor meiner Ausbildung am Jung-Institut - kam ich mit Märchen in Berührung: Das war für mich etwas Neues und Hilfreiches.

Peter A. Levine, der bekannte amerikanische Biologe, Physiker und Psychologe, scheint Sie in Ihrer Arbeit stark beeinflusst zu haben. Welches sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse aus seinen Forschungen?
Meine Wohnpartnerin, Angelika Georgi, ist Körpertherapeutin. Sie hat eine dreijährige Ausbildung bei Levine gemacht. Im Austausch mit ihr fand ich Antworten auf viele Fragen, bei denen ich zuvor nicht weiterkam. Durch die Lektüre seiner Bücher ("Traumaheilung" und "Verwundete Kinderseelen heilen") und einen Vortrag von Levine, wurde ich dazu angeregt, mich weitergehend mit frühkindlichen Traumatisierungen zu beschäftigen und Märchen zu suchen, die Wege aufzeigen, wie seelisch verletzte Menschen wieder ins Leben zurück finden können.

Sie erwähnen, dass Erkenntnisse aus der modernen Hirnforschung ebenfalls beim Schreiben Ihres Buches eingeflossen sind. In welcher Weise?
In der traumatischen Situation - das sind auch Erkenntnisse von Levine - reagieren wir mit instinktiven Verhaltensmustern, die oft lebensrettend sein können, sei das nun Kampf, Flucht oder Totstell-Reflex. Die Hirnforschung hat aufgezeigt, dass diese instinktiven Verhaltensweisen in einem primitiveren Teil des Gehirns ablaufen, der unserem alltäglichen Bewusstsein nicht zugänglich ist. Immer wenn mich etwas an das Trauma erinnert läuft ein Programm ab, das ich nicht bewusst steuern kann: ich erstarre oder gerate in einen Bewusstseinzustand, in dem ich mich nicht mehr spüre.
Im Buch schildern Sie viele konkrete Lebenssituationen. Wie setzen Sie Märchen in der Therapie ganz praktisch mit traumatisierten Menschen ein? Wie muss ich mir den Verlauf einer solchen Therapie vorstellen? (Länge einer Sitzung, Sitzungshäufigkeit, Länge der Therapie bis zum Abschluss)
Menschen, die früh verletzt worden sind, kommen häufig mit einem konkreten Thema in die Therapie: Schwierigkeiten in der Ehe oder bei der Arbeit, sie leiden an einem Burn-out oder sie stellen fest, dass ihnen in Beziehungen immer wieder das gleiche Muster passiert. Oft zeigt sich erst allmählich, welch tiefes Leiden sich hinter diesen Problemen verbirgt. Eine Sitzung dauert eine Stunde; die Frequenz richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten. Wie lange eine Therapie dauert, ist schwer zu sagen, auf jeden Fall ist wichtig, dass ich mit meinen Klienten zusammen immer wieder schaue, was nötig ist.
Märchen setze ich dann ein, wenn mir in einem Gespräch plötzlich ein Märchenbild einfällt, das etwas verdeutlichen kann, was sonst kaum fassbar ist.

An wen richtet sich Ihr Buch? Sprachlich ist es ja sehr verständlich geschrieben.
Es richtet sich an interessierte Menschen, die mehr über sich selber erfahren möchten, an Erziehungspersonen, auch an Menschen, die unter diffusen Ängsten oder Entfremdungsgefühlen leiden und versuchen, dem auf die Spur zu kommen, was sich dahinter verbirgt.

Lassen Sie diese Erkenntnisse auch in Kursen (Vorträgen, Seminaren) einfliessen?
Ja, in meine Arbeit als Lehranalytikerin, Supervisorin und Ausbildnerin fliessen diese Erkenntnisse ein, ich halte auch Vorträge an der Volkshochschule Zürich oder in Kirchgemeinden.

Sie wohnen seit kurzem in Hedingen. Wie gefällt es Ihnen hier im Knonauer Amt?
Mir gefällt es sehr gut hier. Nach 15 Jahren in Zürich hatte ich zunehmend Mühe mit der Hektik der Stadt. Ich schätze die räumliche Distanz zwischen Praxis (in Zürich beim Stadelhofen) und Wohnort und bin froh über die guten Verkehrsverbindungen mit der S9. Ich geniesse den Weitblick vom Wohnzimmer aus, den nahen Hedinger Weiher und die Möglichkeit, mehr zur Ruhe zu kommen.

Interview: Ernst Schlatter

Angaben zum Buch:


Hanna Hadorn: "Früh verletzte Seelen - Wie Märchen Halt geben", 169 Seiten, Broschur, Walter (Patmos) Verlag, Düsseldorf; ISBN 3-530-40189-7. In jeder Buchhandlung erhältlich. Bei der Buchhandlung Scheidegger in Affoltern am Lager.

Bild: Hanna Hadorn, Hedingen, die Autorin des Buches "Früh verletzte Seelen". (Bild eschla)